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„Glaube Liebe Hoffnung“

Fotos: Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt
Fotos: Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt
Fotos: Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt

Andreas Kriegenburgs atmosphärisch dichte, „Überleben“-plädierende Inszenierung von „Glaube Liebe Hoffnung“ am Schauspiel Frankfurt. \n

(Atemlose) „Stille!“\n \n  \n \n Andreas Kriegenburgs atmosphärisch dichte, „Überleben“-plädierende Inszenierung von Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ am Schauspiel Frankfurt.\n \n Von Mark Seebürger.\n \n  \n \n „Zuerst kommt die Pflicht und dann kommt noch Ewigkeiten nicht. Radikal nichts!“, sagt die Figur des Schupos Alfons (Lukas Rüppel) zu Elisabeth in Horváths „kleinem Totentanz in fünf Bildern“ und entscheidet sich somit feiger Weise für seine Karriere statt für seine Mitgefühle gegenüber seiner Liebsten Elisabeth, die ihn bei der ersten Begegnung „an eine liebe Tote“ von ihm erinnert hat.\n \n Er ist nicht der einzige, der aus Eigennutz oder Eingeschüchtertheit so mitleidslos handelt: Horváths Figuren verletzen, verraten, verleugnen und beschimpfen einander, Ehemänner unterdrücken ihre Ehefrauen, es wird geheuchelt, domestiziert, pathetisch geliebt – es herrscht eine soziale und emotionale Eiseskälte, welche das im Rezessions- und Arbeitslosigkeitsklima der 1932er Jahre erschienene Stück beschreibt.\n \n  \n \n Inhalt\n \n Es herrschen Rezession und Arbeitslosigkeit. Elisabeth, jung, hoffnungsfroh und wild entschlossen, ihr Glück zu machen, kämpft mit allen Mitteln um ihre Existenz. Wegen alter Schulden und eines neuen Vertreterjobs, für den sie einen kostenpflichtigen Wandergewerbeschein benötigt, versucht sie sich Geld zu leihen. Sie braucht Geld, um arbeiten zu können. Und sie braucht Arbeit, um Geld verdienen zu können. So meldet sich Elisabeth beim Anatomischen Institut, um dort ihren Leichnam schon zu Lebzeiten zu verkaufen. Als das nicht funktioniert, zeigt sich der Präparator des Instituts gerührt und leiht ihr das notwendige Geld. Kurz darauf erfährt er, dass Elisabeth das Geld zur Bezahlung ihrer Vorstrafe verwendet, die sie wegen Handelns ohne Wandergewerbeschein erhalten hat. Er zeigt sie wegen Betruges an und sie wird zu 14 Tagen Haft verurteilt. Als sich später ein junger Polizist in Elisabeth verliebt, verschweigt sie ihm den Gefängnisaufenthalt. Sie soll seine Braut werden. Doch eines Tages kommt ihre Vergangenheit ans Licht und der Polizist muss sich zwischen ihr und seiner Karriere entscheiden. Er verlässt sie. Wieder allein, ohne Arbeit, ohne Geld, ohne einen Menschen, findet Elisabeth keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Sie geht ins Wasser, wird zwar gerettet, aber die Wiederbelebungsversuche haben nur kurzen Erfolg. Von ihrem Glauben, von ihrer Liebe und ihrer Hoffnung verlassen, stirbt sie.\n \n  \n \n Ein kleiner Totentanz\n \n Der Tod ist allgegenwärtig.\n \n Kriegenburgs selbstentworfene, kipp- und versenkbare Bühne erinnert in ihrer rechteckigen Art, von Rampe nach Bühnenhintergrund laufenden Ausrichtung an einen Seziertisch mit seitlichen Rinnsalen, über dem viele breite Rundlampen hängen. Die fahlbeleuchtete Szenerie schafft den ersten Schauplatz im Stück: das Anatomische Institut. Die weiße Spielfläche ist mit der Fotografie eines übergroßen, nackten Frauenkörpers mit Gesicht-verdeckenden dunklen (nassen?) Haaren in Embryonalstellung ausgekleidet. Auf ihr liegt in ebensolcher Stellung der (tote?) Körper der Elisabeth (Lisa Stiegler), ihr grauweißes Kleid tragend, ihre Schuhe zu ihren Füßen platziert, totenbleich geschminkt und mit nassen Haaren. Dieses erste bedrückende Bild verharrt zunächst in Stille, bevor ein entfernter Schuss (oder „ins-Wasser-klatschender Körper“, wie ein anderer Rezensent schrieb) die Stille zerreißt, die Lampen kurz aufglimmen und alles wieder ins anfängliche Düstere übergeht. Auf einem am hinteren Ende der „Seziertisch“-Schräge aufgestellten, erhöhten quadratischen Durchgang dringen vereinzelnd die weiteren totenbleich-geschminkten, verschüchtert blickenden Stückcharaktere hervor und stimmen kurz auf Elisabeth blickend den Kanon „Schon wieder einer tot – plums. Im Land herrscht große Not – plums. Was soll denn aus uns werden, wenn alle Menschen sterben?!“ an. Die Multimusikerin / Arbeiterfrau (Gaby Pochert) wird von den anderen gestisch angewiesen, an dem am Boden liegenden Körper vorbei zum linksseitigen Flügel zu gehen, um den von Horváth im Stück beschriebenen Trauermarsch von Chopin anzustimmen, zu welchem die anweisenden Charaktere synchron-schunkelnd die Schräge nun bis zur Rampe hinabgehen, während sich die Rampe hinten senkt und vorn hebt. Zwischendurch unterbricht die Musikerin widerwillig ihr Spiel, wird aber von den anderen zum Weiterspielen genötigt. Somit wird klar: das Personal nötigt jemanden einen atmosphärischen Klangteppich für sein Spiel ab, wie es im Verlauf des Stückes immer wieder der Fall sein wird: das Nötigen, Ausnutzen, Selbstausbeuten, sowie das Brechen von „passender“ Atmosphäre und Darstellen von desillusionierenden Mitteln wird spielerisch und komödiantisch ein- und vorgeführt. Nach einigen Extempori beginnen die Spieler die ersten Horváthtexte zu sprechen, doch ihr Sprechen hat etwas „Hervorgedrücktes“, Forciertes, Hölzernes oder Überhöhtes. Auch hier wird erneut jegliches Pathos entlarvt, jeglicher Mitleidsseufzer-Klang zerstört, werden sogar die Horváth'schen Regieanweisungen größtenteils monoton abgesondert. Diese Irritation sorgte für erste gewollte, amüsierte Lacher im Publikum und etablierte Kriegenburgs Interpretationsgedanken nahe an Horváth: nur kein Mitleids-Wohlfühl-Kuscheltheater (Amtsgerichtsrat: „Versündige dich nicht! Was weißt denn du schon von der großen Not? Wo man doch tagaus tagein die armen Leut verurteilen muß, zu guter Letzt bloß weil sie kein Dach über dem Kopf haben!“\n \n Frau Amtsgerichtsrat: „Dann würd ich sie halt nicht verurteilen.“ Amtsgerichtsrat: „(…) aber freu dich, wenn das Kino wieder ein Kitsch ist, du Mickymaus-“).\n \n Immer wieder staun(t)e ich, mit welchen spielerischen Mitteln die Schauspieler Requisiten zweckentfremdeten, um in Sekundenschnelle ein neues Requisit oder einen Szenenübergang hervorzuzaubern, u.a. Tauben aus Papierservietten. Das „Nötigen“ zum Spiel erfahren auch Elisabeth und Schupo Alfons, indem ihr Text anfänglich von den anderen gesprochen wird, sie zu mimischen Untermalungen aufgefordert und ihre Extremitäten fremdbewegt werden. Es stellt sich der Verdacht ein, dass beide ihre Geschichte, ihr „Stück“ eigentlich nicht noch einmal „aus Selbsterhaltungsprinzip“ durchspielen wollen, es aber mit sich machen lassen („Jetzt war ich schon fort und jetzt gehts wieder los und niemand ist zuständig für dich und du hast so gar keinen Sinn –“). Irgendwann fügen sich beide in ihre aufgezwungene Rolle und sondern ihren eigenen Text ab. Elisabeth wird dabei eine Entwicklung von Objekt zum Subjekt erfahren. Doch wird sie an Schupo Alfons' Feigheit und Pflichthörigkeit verzweifeln („Ich tät Ihnen schon gern meinen Mantel umhängen, ich brauch ihn nämlich nicht, aber das ist mir verboten.“ ), wird sie wieder am Anfangspunkt landen: „Glaube Liebe Hoffnung“ beraubt, im Totenhemd, nass, tot auf dem „Seziertisch“, zurückgelassen, einsam, unbeachtet, in kaltes blaues Licht getaucht, zum einsamen Klang einer Querflöte. Eine bereits Tote wurde zum Weiter-Leben genötigt und erneut „getötet“. Horváth wie Kriegenburg verweigern ihr jegliches Entkommen.\n \n  \n \n Sich (nicht) fügen\n \n Kriegenburg hat einer Figur, der Maria (welche Elisabeth vor dem Wohlfahrtsamt anspricht), mehr Auftritte als von Horváth vorgesehen geschenkt. Sie ist einer der prägnantesten Figuren des fantastischen Ensembles, die sich größtenteils den Unbarmherzigkeiten ihres Milieus fügt, aber auch immer wieder aufsteht, sich halt letztlich nicht fügt.\n \n Franziska Junge spielt ihre „Marie“ mit stetem vorn-hochgekrempelten, ihren Schambereich beinahe entblößenden Rock, an dem sie verschüchtert und romantisch-verklärt herumfingert, während ihr Sprechen und ihr Blick sehnend ins Weite gerichtet ist. Ein warmherziges, Nähe-suchendes Kindfrau-Wesen, dass sich ausstellt, versteckt, noch einen Rest von Leben und Aufbegehren in sich trägt, aber letztlich gegenüber ihrem brutalen, sinistren Geliebten Baron, der sie später an die Polizei verraten wird, deutlich ungesunde masochistische Züge hegt: „Nur schla... schla... schla... schlagen dürfte er mich nicht.“ Junge zeigt nicht nur hier ein spielerisches Bravourstück von anfänglicher Angst, über Faszination bis hin zur Lust gegenüber der körperlichen Gewalttätigkeit des Barons. Später sitzt sie Blut-verschmiert und traumatisiert am Boden, minutenlang Blut spuckend. „Man muss sich halt alles gefallen lassen (…) Das sind lauter kleine Paragraphen, aber du bleibst hängen – Du weißt eigentlich gar nicht, was los war und schon ist es aus.“, sagt sie vorher, doch wird sie wieder an der Rampe ein klassisches Lied anstimmen, u.a. Bachs „Ich habe genug“ und hinten geben sich in einer kurzen Szene ihre Spielkollegen einem Zerstörungs- und Wutausbruch hin, Aktentaschen, Blechbehälter und Kleidungsstücke auf die Rampe schleudernd. Die Figuren haben kurzweilig „genug“. Für mich eine der anrührendsten, heftigsten Szenen an diesem Abend. Aus eben diesen Utensilienwirrwarr angeln die Spieler dann vor dem Wohlfahrtsamt eventuell passende Hosen und Jacken hervor, überprüfen, ob diese passen, suchen nach anderen, klauben eine Vielzahl an Aktentaschen zusammen... spätestens da holte mich unsere heutige Realität der in Mülleimern nach Mehrwegflaschen-suchenden Betroffenen wieder ein.          \n \n  \n \n Mittel der Groteske\n \n Horváth beschreibt diesen grausamen Reigen menschlicher Verzerrungen sprachlich und szenisch mit den Mitteln der Groteske und für eine unheimliche, aber höchst faszinierende, grotesk-komische Ästhetik haben sich Regisseur Andreas Kriegenburg und seine Kostümbildnerin Katharina Kownatzki entschieden.\n \n Die auftretenden Figuren sind totenblass geschminkt, ihre die 1930er Jahre illustrierenden Kleider sind in erdigen Farbtönen gehalten (nur die Polizeiuniformen sind braun!!!) und an den Schultern mit Polstern ausgestattet erhöht, sodass die Köpfe „halslos“ auf den Schultern ruhen, was den Figuren etwas „in-sich-Hineinverkrochenes“, „Resignatives“ und „Eingeschüchtertes“ gibt. Ihre Bewegungen sind begleitet von einer Art „Starre“ und von unterdrückten, nervösen und neurotischen Ticks, ihre Gänge bewältigen sie mit eingeknickten Knien und ihre Worte klingen leer, hohl, pathetisch, voller Sehnsuchtskitsch und kaltem Ingrimm.\n \n  \n \n Erhaltene Menschenwürde\n \n Dass diese „Fast-Toten“ mich und meine weibliche Begleiterin dennoch zum verständnisvollen Lachen und Weinen anrührten, ist der „Menschenwürde-bewahrenden“ Inszenierung Kriegenburgs und seinem individuell grandiosen Ensemble zu verdanken. Kriegenburg, einer der prägendsten und immer wieder überraschendsten, national wie international vielfach ausgezeichneten  Regisseure seit den 90ern, erweist sich erneut wie so oft als zärtlicher Poet mit einem mitfühlenden (aber nicht unkritischen) Blick auf seine Figuren und mit einem verspielt-clownesken, höchst-musikalischen Inszenierungsstil, der seine Schauspielerpersönlichkeiten vorm Abgleiten in bloße „Knallchargen“ bewahrt. Nicht zum ersten Mal entscheidet sich Kriegenburg für eine assoziative „Stummfilm-Expressionismus“-Ästhetik in Maske und Spiel, belässt er ein Stück optisch in dessen Entstehungszeit und überlässt es somit der Bereitschaft seines Publikums, selbst den Zeit- und Anteilnahmebogen zu heutigen Verhältnissen zu schlagen – aber erneut weist er ohne mahnenden Zeigefinger in anrührender Weise auf immer noch bestehende Missstände hin, schafft erneut ein Plädoyer für Mitgefühl, soziale Wärme, Zivilcourage und Verbesserungsbedarf und entlarvt Resignation und Verantwortungslosigkeit. Ganz im Sinne von Horváth. Ganz im Sinne des Schauspiel Frankfurt'schen Spielzeitcredos „Über Leben“, dessen Untertitel sinngemäß lautet, „dass der Mensch nicht nur ein Recht auf Leben, sondern auf Überleben hat“.\n \n Schupo: „(...) Erst vorgestern nacht habens wieder einen Kameraden von mir erschossen.“\n \n Elisabeth: „Es müssen halt immer viele Unschuldige dran glauben.“\n \n Schupo: „Das lässt sich nicht umgehen in einem geordneten Staatswesen. (…) Man darf die Hoffnung nicht sinken lassen.“\n \n Elisabeth: „Das sind Sprüch.“\n \n Stille.\n \n  \n \n „Stille“\n \n „Stille“ ist eine der meisten Regieanweisungen in Horváths Stücken.\n \n „Stille“ sprechen, wünschen und fordern die Figuren von / für einander in der Inszenierung.\n \n „Stille“ herrschte zwischen einigen (Solo-)Szenen (ich musste mich mit meinem Wunsch nach Szenenapplaus oft stark zurückhalten!).\n \n Atemlose, fast andächtige Stille war nach dem letzten Bild und dem Blackout im Publikum zu hören – bevor vielerorts tiefes, beeindrucktes Durchatmen erklang; gefolgt von langem Jubelapplaus für eine kritische, kluge, atmosphärisch dichte Inszenierung und für die vielseitigen, mutigen, hingebungsvollen Schauspieler.\n \n  \n \n Infos über Andreas Kriegenburg\n \n de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Kriegenburg\n \n Seit der Spielzeit 2009 ist Andreas Kriegenburg Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin, inszeniert aber auch in München, Dresden, Wien und Frankfurt.\n\r\nFotos: Birgit Hupfeld / Schauspiel Frankfurt\n



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